Weg der Besinnung
9. März 2023
Weg der Besinnung
Jutta Schrenk findet ihr Glück auf dem Jakobsweg
Sport und Bewegung, das ist ihre Passion. Jutta Schrenk, gebürtige Schweinfurterin, hat über 50 Jahre in Geslau gelebt und gearbeitet, hat ihre Mutter gepflegt und ihre Tochter Anke groß gezogen. Jeden Abend nach getaner Arbeit hat sie sich frische Luft beim Walken oder auf einem Spaziergang gegönnt. Nicht selten wurde sie belächelt und gefragt, ob sie nicht genug ausgelastet sei.
„Ich brauche die körperliche Betätigung wie die Luft zum Atmen“, sagt sie lächelnd. Ganze 30 Jahre leitete sie die Gymnastik-Gruppe des TSV Geslau und weitere 10 Jahre die Nordic Walking-Gruppe. Es wundert nicht, dass sie sich in den 90er-Jahren sofort für die Begehung des neuen Pilgerweges von Jakobskirche zu Jakobskirche zwischen Nürnberg nach Rothenburg begeistern konnte. Die Wanderung ging von Stein nach Heilsbronn über Colmberg nach Rothenburg, natürlich zur Jakobskirche mit der St. Jakobs-Statue vor dem Portal. „Berührt man dessen Zeigefinger, bringt es dem Pilger Glück“, heißt es. Sie hatte „Lunte gerochen“, was das Pilgern angeht. Wieso also nicht gleich einen Tagesausflug auf den Spuren des Jakobsweges mit ihrer Gymnastik-Gruppe unternehmen, dachte sich Jutta Schrenk im Stillen.
Auf diesem Wege stieß die durchtrainierte „Wandersfrau“ in der Jakobskapelle in Oberdeutenbach auf einen Spruch, der sie über insgesamt 4 825 km auf dem Jakobsweg begleiten sollte: „Zuhause bin ich, wo ich bleib, wenn ich geh“. Raus aus dem Alltag, um sich einmal nur auf sich selbst besinnen zu dürfen, war ihr Motto. Dass sie einmal den gesamten Jakobsweg gehen würde, stand nicht auf dem Plan. Heute hängt eine große Landkarte im Gästezimmer, auf der sie mit bunten Pinnnadeln die 13 Etappen ihrer Wanderungen markiert hat.
Mit 65 Jahren auf dem Jakobsweg
Im Sommer 2011 war es so weit. Die damals 65-Jährige wanderte gemeinsam mit einer Freundin ihren ersten Pilgerweg in 25 Tagen über 787 km auf dem Camino Francés. Das Ziel war Santiago de Compostela, die Hauptstadt der spanischen Region Galicien und Ende des Jakobsweges (Camino de Santiago). Die Kathedrale soll der Begräbnisort des biblischen Apos-tels Jakobus sein, dessen sterbliche Überreste in der im Jahr 1211 eingeweihten Kathedrale Santiago de Compostela aufbewahrt werden. „Ich bin evangelisch aufgewachsen, aber gebetet habe ich eigentlich nicht“, erzählt die begeisterte Pilgerin.
Auf dem Weg von München nach Bregenz lauschte sie einem Schulanfangsgottesdienst, in dem der Pfarrer ein Lied auf seiner Gitarre spielte: „Ich habe Mut, ich habe Kraft und ich fürchte mich nicht, denn der Herr ist mit mir“ – ein Lied, das Jutta Schrenk trotz ihres verhaltenen Glaubens bis heute begleitet. Sie hätte nie gedacht, dass sie auf ihren Wegen einmal Zwiegespräche mit Gott führen würde, geschweige denn anfangen würde zu singen. „Danke für diesen guten Morgen“ gehört zu ihren liebsten Wanderliedern. Auch wenn Deutschland nicht mit offenen Kirchen, vielen Pilgern und zahlreichen Unterkünften punktet, hat sie auf dem Weg im eigenen Land doch Ruhe und Frieden gefunden.
Auf ihren Wegen durch Deutschland ist sie sehr wenigen Jakobsweg-Pilgern begegnet. Man geht oft ganz für sich alleine. „In Heuchelheim werden Pilger mit einem herzlichen Willkommensgruß am Ortseingang begrüßt, eine Herberge, eine Mahlzeit oder einen Schlafplatz gab es aber nicht“, erinnert sie sich. „Es wäre schön, wenn es in Deutschland mehr Pilgerangebote gäbe“, wünscht sich die sportliche Naturliebhaberin. Bis heute ist ihr ein unbeschreibliches Gefühl von Dankbarkeit geblieben dafür, dass sie diese Pilgerwege teilweise alleine und als Frau meistern durfte, was vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Beeindruckende Landschaften wie der Blick auf die Eiger-Nordwand, den Mönch und die Jungfrau oder der Aussichts- und Startpunkt des bekanntesten und ältesten Jakobsweges in Frankreich, der „Le Puy-en-Valey“ in der Auvergne sind Bilder, die Jutta Schrenk wohl immer im Gedächtnis behalten wird. Auf dem Weg „Via Baltica“ von Greifswald über Wismar nach Rostock erinnert sich Jutta Schrenk an den überwältigenden ersten Blick auf die Ostsee mit ihren Dünen und dem feinen Sandstrand. Auf dieser Reise „stolperte“ sie in Neubukow über den Gedenkstein des als Entdecker Trojas geltenden Heinrich Schliemann.
Den letzten Jakobsweg unternahm sie mit ihrer Tochter Anke – ein Weg, den beide nicht mehr missen möchten. Die heute 75-Jährige ist immer noch fit und rüstig und kann jedem nur empfehlen, sich (mit einem 10-kg-Rucksack) auf den Weg zu machen, um zu sich selbst zu finden. Jutta Schrenk ist nicht klein zu kriegen. Urlaubsfotos ihrer Tochter mit Motiven von der Ostsee inspirieren die bewegungsfreudige Seniorin zu einer weiteren Aktion, einer E-Bike-Tour von Kassel nach Scharbeutz bis in die Lübecker Bucht.
ul