Rothenburger sind keine „Kopfhänger“

10. Januar 2022

Rothenburger sind keine „Kopfhänger“

Wir blicken zurück ins Jahr 1922: Die Inflation trifft auf den aufstrebenden Tourismus

Schon vor 100 Jahren beobachteten die Menschen begeistert die Kunstuhr an der Ratstrinkstube. Entspannt wirkt die Szenerie am Marktplatz. Damals war zwar keine Coronapandemie am Start, aber auch im Jahr 1922 hatten die Deutschen und somit die Rothenburger mit allerlei Unwägbarkeiten zu kämpfen. Vier Jahre nach dem Ersten Weltkrieg belasteten Kriegsschulden und Reparationszahlungen die politischen Verhältnisse. Die Inflation und eine Verknappung von Lebensmitteln prägten das alltägliche Leben. In der Rothenburger Tageszeitung wurde ab Mai regelmäßig der Preis, der für einen Dollar gezahlt werden musste, veröffentlicht. Am 24. Mai betrug dieser 313 Mark, am 4. Juli waren es schon 401 Mark, am 18. September 1487 Mark und zwei Monate später kostete ein Dollar schon 6400 Mark. Der Rothenburger Stadtrat griff daher ein: Am 31. Oktober legte er den Brotpreis auf 25 Mark pro Pfund fest. Das war genau einen Monat zu halten, dann besserten die Räte nach: Ein Pfund Brot kostete am 4. Dezember 60 Mark.

In vielen Ausgaben des Fränkischen Anzeigers gab es die Anzeige einer Reederei für eine Schiffspassage nach USA. Die Auswanderungswelle 1922 knüpfte an die Emigration vor dem Ersten Weltkrieg an. Die Zahlen stiegen massiv. Grund dafür mögen verschobene Auswanderungspläne gewesen sein, dazu kam die Inflation und Vertriebene aus den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Mitteleuropa, die hier keine Zukunft mehr sahen.

Die Wohnungsnot tat das ihre dazu. Am 16. August 1922 daher ein Aufruf im Fränkischen Anzeiger: Da die Geldentwertung den Neubau von Wohnungen verhinderte und Tausende deutscher Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht werden mussten, wurde ein Appell an die „Pflicht der Volksgenossen“ gerichtet, entbehrlichen Raum freiwillig zur Verfügung zu stellen.

Ein großes Jubiläum

Aber nicht nur die Weltpolitik sorgte für Probleme, sondern auch Unfälle oder Wetterkapriolen beschäftigten die Rothenburger. Der Sommer 1922 muss ziemlich katastrophal gewesen sein. Immer wieder wird von Unwetter, Regen oder Hagel berichtet und den daraus entstandenen Schäden. Und auch das Festspiel musste einen herben Schlag hinnehmen: Am 19. September gab es im Ochsenbau im Spital einen Brand, dem das „gesamte Werk des Festzugs aus vier Jahrzehnten“ zum Opfer fiel.

Die Rothenburger haben sich aber nicht beirren lassen. Die Menschen wollten vielleicht nach den entbehrlichen Kriegsjahren trotz aller Schwierigkeiten nach vorne schauen und ihr Leben genießen.

Am 16. und 17. April, Ostersonntag und -montag, gab es daher eine große Feier zum 750-jährigen Jubiläum der Stadt. Zuvor war ein Aufruf in der Tageszeitung: „Jeder an seinem Teil möge mitwirken, um die Tage der 750-Jahr-Feier zu einem großen Ganzen zu gestalten.“ Herausgekommen ist ein „glanzvolles Fest“ wie ein ganzseitiger Nachbericht am 20. April aufzeigt. Es gab Festaufführungen von 14 lebenden Bildern aus der ruhmreichen Vergangenheit und es spielte unter anderem das Stadtkapellenorchester. Kaum war dieses Fest gefeiert, ging es mit Pfingsten weiter: „Holdseliges Pfingsten! Wie tut es uns alle Jahre an, wenn du nahst im wundersamen Schmuck der verjüngten Erde“ kündigte der Fränkische Anzeiger an.

Pfingsten zieht die Massen an

An Pfingstsonntag und- montag (5. und 6. Juni) war dann nicht nur das Wetter hold, sondern die Rothenburger freuten sich über einen „Massenbesuch“. Sonderzüge von Nürnberg, Leutershausen, Creglingen und Rot am See brachten Besucher. Der „Meistertrunk“ wurde aufgeführt, die Schäfertänzer gaben eine viel beachtete Darbietung am Marktplatz, im Burggarten erklang ein Konzert, die Hans-Sachser zeigten in der alten Burg ihre Schwänke. Der Festzug am Montag mit Festlager zog zahlreiche Besucher an. Laut Nachbericht war „Der Massenbesuch Beweis genug, dass auch der Deutsche kein Kopfhänger ist, sondern sich das Recht zum Leben und zur bestmöglichen Ausnützung dieses Lebens nicht nehmen lässt.“

Die Zeiten mögen allgemein schwierig gewesen sein, aber das gesellschaftliche Leben florierte. Die Vereine riefen zu Treffen und Vorträgen auf. Darunter waren Vereine, die es noch heute gibt, wie der Zeidlerverein und das Festspiel, aber auch der Turnverein, der Militär- und Kampfgenossenverein, der Veteranenverein oder der Sozialdemokratische Verein. In den Kinos wie dem Ka-Li oder den Kronenlichtspielen wurden die neuesten Filme gezeigt.

Einer, der als Schauspieler später berühmt werden sollte, hat im Jahr 1922 einen Weltrekord aufgestellt: Tarzan Johnny Weißmüller ist als Erster die 100 m-Strecke unter einer Minute, in 58,6 Sekunden, geschwommen. Ach ja, und die Sowjetunion wurde am 30 Dezember 1922 gegründet (knapp 70 Jahre später war ihre Zeit aber schon wieder vorbei) und das Grab des Tutenchamun wurde in Ägypten entdeckt, was auf großes Interesse der Weltöffentlichkeit stieß.

Lassen wir uns also überraschen, was 2022 für uns bereit hält. am

Die Aufnahme des Berliner Fotografen Georg Haeckel vom Kunstuhr-Spektakel am Marktplatz könnte etwa aus dem Jahr 1922 stammen. Foto: Stadtarchiv
Ab nach Amerika: Im Jahr 1922 war die Auswanderungswelle groß und in Rothenburg gab es einen vor der Regierung bevollmächtigten Auswanderungsbeauftragten. Foto: am

Weitere interessante Beiträge

über Rothenburg ob der Tauber & Umgebung

Ausgabe

Zusätzliche ROTOUR-Beiträge und weitere spannende Informationen finden Sie hier:

Zusätzliche ROTOUR-Beiträge und weitere spannende Informationen finden Sie hier:

Hinterlassen Sie ein Kommentar