Mit bedachten Worten

10. Januar 2022

Mit bedachten Worten

Rothenburg kennt Ulrich Pyczak als Buchhändler. Aber da ist noch mehr.

Fällt in Rothenburg der Name Pyczak, stellen sich sofort Assoziationen ein: Ein besonderes Buch, das in Erinnerung geblieben ist, die schnelle Zeitung im Vorbeigehen, eine fachkundige Beratung – und irgendwas war doch da mit Thomas Mann? Pyczak, das war eine Buchhandlung, die man heute landauf, landab sucht. Und Ulrich Pyczak ist der Mann, der das möglich gemacht hat.

Bis vor sieben Jahre, bis zu seinem 80. Lebensjahr, stand er in den prall gefüllten Räumen seines Ladens in der Georgengasse. Ein Rothenburger durch und durch. Eine Buchhändlertradition, die in der Familie lag. Oder ist da vielleicht sogar noch mehr?

Auf Augenhöhe

Ulrich Pyczak ist einer jener Menschen, die mit einem kleinen Schmunzeln und einem knappen Satz zur richtigen Zeit den Nagel genau auf den Kopf treffen. Er macht kein großes Aufsehen um seine Person, dabei kannte er doch die ganz Großen der Literatur: Thomas Mann, Marcel Reich-Ranicki oder Siegfried Lenz und Günter Grass, mit denen er 2005 eine Sendung für Radio Bremen gemacht hat. Der „einfache“ Buchhändler aus Rothenburg kam bei den Schriftstellern mit Weltruf gut an. Seine Gesellschaft und das Gespräch mit ihm hat eben etwas geradlinig Erfrischendes.

Seit 1955 hat Ulrich Pyczak den Einheimischen und Touristen die Liebe zu den Worten näher gebracht. Er wurde hineingeboren in die Welt der Bücher. Sein Vater hat eine Buchhandlung in Rothenburg gekauft, die von zwei Kunstmalerinnen bereits 1906 gegründet wurde. „Das war die Mitgift seines Schwiegervaters zur Hochzeit“, erzählt Ulrich Pyczak. So kam die schlesische Familie im Jahr 1931 in die Tauberstadt. Dass er selbst die Buchhandlung einst übernehmen würde, war immer klar.

Glückliche Fügung

Nach zwei Jahren Lehre im elterlichen Betrieb sollte er noch Erfahrungen in einem anderen Unternehmen machen. Die Suche wurde im Börsenblatt inseriert, der Fachzeitschrift des Buchhandels. Daraufhin reiste das Ehepaar Hamkens, Inhaber der legendären Buchhandlung Weiland in Lübeck, eigens nach Rothenburg, um den angehenden Buchhändler zu inspizieren. „Ich bin dann zwei Jahre in der Buchhandlung Weiland in Lübeck gewesen“, erzählt Pyczak, „Das war ein Glück für mich.“

Dort hat er die ganz großen Autoren der damaligen Zeit kennengelernt: Im Jahr 1953 ist er in seiner Mittagspause erstmals Thomas Mann begegnet. Der Schriftsteller war mit seiner Frau Katja inkognito in Lübeck unterwegs. Natürlich hatte Thomas Mann auch Kontakte zu der angesagten Lübecker Buchhandlung. Ulrich Pyczak erlebt ihn bei einer Lesung (im Rahmen der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Lübeck im Jahr 1955) des damals neu erschienenen Romans „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

Zum offiziellen Festtag am nächsten Tag in Travemünde hat ihn Thomas Mann über seinen Chef einladen lassen. „Thomas Mann und seine Frau Katja habe ich als sehr nettes Ehepaar erlebt“, erinnert sich Pyczak. Mit der Literatur von Thomas Mann ist er seitdem eng verbunden und auch Lübeck hat stets eine große Rolle in seinem Leben gespielt.

Nachdem sein Vater 1954 verstorben war, ging es für den jungen Buchhändler aber wieder zurück nach Rothenburg. Er sieht es als Aufgabe eines Buchhändlers an, den Menschen die Literatur nahe zu bringen. Lesen, und zwar unterschiedlicher Genres, gehört für ihn zum Leben. „Als Buchhändler muss man aber eigentlich keine Bestseller lesen, denn die verkaufen sich von selbst“, merkt er an. Gleichwohl sei es nicht ganz einfach gewesen, dass seine Empfehlungen bei den Kunden auch Gehör fanden.

Neben der schön-geistigen Literatur hatte er ebenso lokale und fränkische Literatur im Angebot (zeitweise auch Noten und Schallplatten) und natürlich Landkarten und Reiseführer. „Die gingen damals in Rothenburg bestens“, erinnert er sich. Auch Druckerzeugnisse gehörten dereinst zum Spektrum einer Buchhandlung und mussten sogar zwingend geführt werden.

Ulrich Pyczak ist eng mit seiner Heimatstadt verbunden. Er erinnert sich an das gemeinsame Stachern an den Tauberhängen in seinen Kinderjahren ebenso wie an den Luftangriff im März 1945. Die Familie lebte damals in der Rödergasse und wurde ausgebombt. Sein jüngster Bruder wäre beinahe umgekommen, hätte ihn nicht ein Fliegeroffizier aus dem brennenden Haus gerettet. Die Familie kam danach bei ihrer Haushaltshilfe in Detwang unter. „Wir hatten ja gar nichts mehr und lebten zu Acht in einem Zimmer“, erzählt er. Nach einem halben Jahr zogen die Pyczaks dann in den Gasthof Pulverer und lebten dort etwa zehn Jahre.

Kaum war Ulrich Pyczak im Jahr 1955 zurück aus Lübeck, engagierte er sich im gesellschaftlichen Leben in Rothenburg. Er war einer der Ersten, die die Wiedergründung der Sektion Rothenburg des Alpenvereins initiierten und zuerst als Schatzmeister und von 1966 bis 1996 als erster Vorsitzender aktiv. Er war außerdem 32 Jahre in der Vorstandschaft des Siedlerbundes und 18 Jahre lang deren Kassier.

Viele kennen Ulrich Pyczak auch von seinem unermüdlichen Einsatz für das Theater. Die Buchhandlung Pyczak war bereits zu Zeiten seines Vaters die Kartenvorverkaufsstelle für Kulturveranstaltungen. Und das blieb auch so. Als in den 50er-Jahren das „Kleine Burgschauspiel“ in Rothenburg gegründet wurde, gab es die Eintrittskarten bei Pyczak. Als das Theater nach Dinkelsbühl abwanderte und zu Gastspielen nach Rothenburg kam, gab es die Karten natürlich auch bei Pyczak. Bis vor einem Jahr stand Ulrich Pyczak bei jedem Gastspiel des Dinkelsbühler Theaters stets am Eingang des Musiksaals und verkaufte die Eintrittskarten zur Aufführung.

Ach ja, und dann hat er noch 40 Jahre lang die Theaterfahrten des fränkischen Besucherrings zur Oper nach Nürnberg organisiert. „Etwa drei Mal im Jahr ging es von Rothenburg aus in die Oper. Das wurde gut angenommen“, erzählt er. Er hat als Buchhändler regelmäßig Lesungen veranstaltet, etwa zwei Mal im Jahr. „Aber diese wurden nicht so gut angenommen“, ist sein Resümee, „Es war auch schwierig, bedeutende Autoren nach Rothenburg zu bekommen.“

Großes Aufheben hat Ulrich Pyczak, der Mann der bedachten Worte, nie um sein Engagement gemacht. Es war immer eher ruhig um ihn. Von seiner Heimatstadt beinahe unbemerkt, blieb daher auch sein Wirken in Lübeck. Die Verbindung zu der Hansestadt, zur Buchhandlung Weiland und deren Grandseigneur Otto Paul Hamkens, hatte über die Jahre Bestand. Hamkens wollte anlässlich seines 90. Geburtstags ein Kulturmuseum gründen. Das kam nicht zustande.

Enge Verbindung zu Lübeck

Als er dann vier Jahre später starb, hat Ulrich Pyczak im Jahr 1995 gemeinsam mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und einem Lübecker Bankdirektor die Kulturstiftung der Stadt Lübeck ins Leben gerufen. Unter deren Dach sind mittlerweile nicht nur viele Museen der Stadt, sondern seit 1995 auch das Buddenbrook-Haus und seit dem Jahr 2000 das Günter Grass-Haus.

Pyczak war jedes Jahr mehrmals in Lübeck und regelmäßiger Gast bei der jährlichen Verleihung des Thomas Mann Preises. Er erinnert sich auch an die Feierlichkeiten zum 50. Todestag Thomas Manns im Jahr 2005. Ulrich Pyczak saß neben Marcel Reich-Ranicki, der gesundheitlich schon etwas angeschlagen war. Für seine Rede sollte ihn sein Sohn an das Rednerpult führen. „Er hat dann gesagt: Mein Freund Pyczak soll das machen“, erzählt er. am

Ulrich Pyczak hat nun Muße zum Lesen. Bis vor sieben Jahre hat er noch seine Buchhandlung geführt. Foto: am
Siegfried Lenz, Ulrich Pyczak und Günter Grass (von links) bei der gemeinsamen Aufnahme für Radio Bremen am 25. September 2005 im Günter Grass-Haus in Lübeck. Pyczak hat dabei mit den beiden Schriftstellern eine Diskussion zum Thema „Gesellschaft und Literatur“ geführt. Foto: Privat

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