Mensch, Schaf & Natur sind eins

2. August 2022

Mensch, Schaf & Natur sind eins

Ralf Fleischmann liebt die Hüthaltung seiner Schafherde

Kurz nach Sonnenaufgang, gegen fünf Uhr morgens beginnt sein Tag. Schäfer Ralf Fleischman aus Roth macht sich gemeinsam mit seinen Altdeutschen Hütehunden Pia und Nero auf den Weg zu seinen wolligen Vierbeinern. Heute hat seine Herde die Nacht in ihrem Pferch auf den sanften Hügeln bei Erlbach verbracht und wartet bei seiner Ankunft schon sehnsüchtig auf das Erreichen der nächsten Weidegründe. Die Schafe verlassen sich darauf, dass ihr Hirte nahrhafte Weiden findet, sie gefahrlos führt und bei Verletzungen hilft. Für Ralf Fleischmann sind seine Schafe zum Lebensinhalt geworden. „Wenn Du einmal Schafe hast, dann kommst du nicht mehr weg von ihnen“, beschreibt der 28-Jährige seine Leidenschaft als Vollerwerbsschäfer.

Angefangen hat alles mit einem großen Schäfer aus der Rother Region, den schon sein Großvater so gerne begleitet hat. Immer wieder gab es kleine Lämmer, die vom Muttertier nicht versorgt werden konnten. „Mein Großvater nahm sie mit nach Hause und zog sie mit der Flasche groß“, erzählt er weiter. Irgendwann entschied sich die Familie, ein paar „Flaschenkinder“ zu behalten, um sie zur Pflege der Streuobstwiesen ihres landwirtschaftlichen Betriebes einzusetzen. Auch Vater Klaus teilte die Leidenschaft der Schafhaltung. Aus den anfänglich zehn Mutterschafen wurden 120 Tiere im Nebenerwerb, die heute Vater Klaus und Sohn Ralf Fleischmann mit Liebe hüten. Seit vier Jahren sind sie Vollerwerbshirten mit 750 Merino- bzw. Schwarzkopfschafen und ca. 35 Ziegen. „Die Ziegen fressen im Gegensatz zu den Schafskolleginnen mit Vorliebe Büsche wie Weißdorn, Schlehen und Wacholder, wodurch eine Überwucherung auf den Magerwiesen verhindert wird.

Nutzen und Geschichte der Schäferei

Die Weideflächen sind geschützte Biotope, die ohne die Beweidung durch Schafe verbuschen würden. Denn sie fressen selektiv. Was stachelt, bitter oder giftig ist, wird stehengelassen. So kann Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Insekten entstehen, den es sonst nicht mehr geben würde. Der Naturpark Frankenhöhe gehört zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. Magerwiesen sind besonders nährstoffarme Grünflächen, die wenig Ertrag bringen. Wanderschäfer wie Ralf Fleischmann sorgen für die Pflege dieser Naturschutzgebiete und tragen maßgeblich zu ihrem Erhalt bei. Eine Vielzahl an wilden Orchideen, Disteln, Enzian und Thymian finden hier einen nachhaltigen Lebensraum.

Genau genommen begann das Zusammenleben von Schaf und Menschen vor über 10 000 Jahren. Aus der griechisch-römischen Kultur kennt man das Bild des Hirten mit dem Lamm; auch Jesus Christus wird als Hirte dargestellt. Den Schafen verdankt der Mensch Bräuche, Traditionen und Feste wie z. B. den historischen Schäfertanz in Rothenburg. Das Nutztier Schaf lieferte seit jeher Fleisch, Wolle, Milch, Häute und wird heute auch als Dünger in Form von Schafwollpellets verwendet. „Clemens Nähr nutzt sie zur biologischen Düngung der Schaubaumschule in Neusitz“, sagt der ehemalige Metallbauer Ralf Fleischmann. Aus dem Wollfett wird natürliches Lanolin für Kosmetika gewonnen und zur Imprägnierung von Outdoor-Kleidung genutzt. Die Rohwolle dient heute zunehmend als Dämmmaterial für Häuser.

Kulturerbe Schäferei

Seit 2020 ist die süddeutsche Wander- und Hüteschäferei im bundesweiten Verzeichnis des Unesco-Kulturerbes zu finden, das es zu schützen gilt. Deshalb setzen sich Regionalverbände für den Erhalt der so wichtigen Landschaftspflege ein. „Vor ca. vier Jahren wurden wir mit dem Bau eines Winterquartieres in Eichholz bei Leutershausen für unsere Tiere unterstützt“, erzählt Ralf Fleischmann. Ab November bis zum Jahresbeginn leben die Tiere in diesem Stall, der in zwei Bereiche unterteilt ist. Ein Futterbereich, der mit Futterbändern von 35 Metern Länge mit genfreier Gerste, Grassilage, Kraftfutter wie Mais und Mineralsalzen automatisch befüllt wird. Die andere Seite ist der Liegebereich mit sogenanntem Festmist, der über die Wintermonate immer wieder mit Stroh aufgefüllt und jetzt im August ausgemistet und als Dung auf die Felder gebracht wird. Zwischen Januar und Oktober ziehen die Fleischmanns, mal Vater, mal Sohn mit ihrer über 800-köpfigen Herde von Kühberg bei Gerstenfelden nach Kirnberg über Neusitz nach Schweinsdorf. Ende Februar bis Anfang März werden die treuen Gesellen geschoren und die Wolle verkauft.

Langweilig wird so ein Tag nie. Gestützt auf seinen Hirtenstab beobachtet Ralf Fleischmann ständig seine „Mitarbeiterinnen“. Durch die trockenen Böden entstehen Unebenheiten und Risse, die manchmal eines seiner „vierbeinigen Rasenmäher“ hinken lässt oder es fällt auf, dass eines der Tiere nicht richtig fressen will. Dann fängt er seinen Schützling mit einem am Hirtenstab befindlichen Haken ein und schaut nach dem Rechten. Ab und zu muss das Tier zu Hause in Roth mit Mitteln aus der heimischen Hausapotheke behandelt werden. Zur Tiergesundheit gehört aber auch die Klauenpflege durch sogenannte „Fußbäder“, um die Tiere vor Bakterien zu schützen, die zu einer bestimmten Klauenfäule führen kann. „Diese tritt gehäuft bei feuchter Witterung auf“, erklärt der Hirte. Vorher werden auf einem sogenannten Klauenstand regelmäßig die „Fußnägel“ geschnitten und die Klauenzwischenräume von Schmutz befreit. Sollte eines der Schafe oder Ziegen einmal ausbüchsen, dient die Ohrmarke dazu, gefundene Tiere wieder zu ihrem Besitzer zurückzubringen oder als Herkunftsnachweis für den Fleischbeschauer vor der Schlachtung.

Die Hütehunde Pia und Nero sind allerdings gut trainiert, um Ausflüge der Herdenmitglieder zu verhindern. „Wir bilden unsere Hunde selber aus“, erzählt der Hirte. Nero ist schon sehr betagt und darf seinen Lebensabend als Hüter der zehn Hofschafe verbringen. Bis es aber so weit ist, müssen die beiden Welpen Idefix und Aix ein Jahr lang auf dem heimischen Betrieb noch viel lernen. Haben sie einmal die Grundkommandos wie „Sitz“, „Platz“ und „Bleib“ verinnerlicht, werden sie auf die speziellen Kommandos eines Hütehundes trainiert. Rund um die Weidegründe gibt es Grenzen wie Wege und Äcker. Der Ruf „Furche“ bedeutet für den Hund, die Herde von der Weggrenze abzuhalten. Die höfischen Schafe dienen als Trainingsherde. Nach drei Jahren sind die Hunde voll einsatzfähig. Reich wird ein Hüte- und Wanderschäfer nicht, aber glücklich, wenn er es aus Leidenschaft tut. Nicht jeder kann sich ein Leben als „einsamer Hirte“ auf den Weiden vorstellen. Aber ohne sie wäre die Welt um einen wichtigen Teil in der Landschaft ärmer. ul

Die Merinoschafherde wartet darauf, aus dem Nachtlager befreit zu werden, um auf die Weiden zu ziehen. Fotos: ul
Seltene Pflanzen wie Disteln und Orchideen bewohnen die Magerwiesen der Frankenhöhe.

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