Kluge Entscheidungen
1. Oktober 2022
Kluge Entscheidungen
Das Modehaus Haller besteht seit 140 Jahren
„Man muss im Fluss der Veränderung immer mitschwimmen und sich konzeptionell anpassen“, sagt Heidi Treiber. Seit fast 30 Jahren führt sie die Geschäfte des Textil- und Modehauses Haller in Rothenburg. In den 1980er-Jahren schloss sie ihre Ausbildung an der Fachakademie für Textil in Nagold mit einer Arbeit ab, bei der sie die Geschäftsüberschneidungen Rothenburger Firmen zu ihrem Familienunternehmen unter die Lupe nahm. „Damals hatten mehr als 30 Geschäfte in der Altstadt ähnliche Artikel im Sortiment“, so Treiber. Übrig geblieben ist davon kaum einer.
Als Hermann Süßmann, gelernter Strumpfwirker, im Jahr 1882 ein Wollwarengeschäft in der Hafengasse gründete, hat er wahrscheinlich auch nicht mit einer 140 Jahre währenden Familientradition gerechnet. Seine ersten Geschäfte hat er in genau dem Haus gemacht, das noch heute der zentrale Firmensitz ist und mit „haller‘s drunter & drüber“ zwei von drei Schwerpunkten setzt.
Heidi Treiber hat zum Jubiläum in den Familienalben geblättert und echte Schätze entdeckt. Auch wenn die Familien Süßmann, Haller, Rohweder und Treiber stets die neue Zeit und ihre Anforderungen im Blick hatten, haben sie dennoch die Tradition geschätzt und bewahrt. Auf alten Fotos aus dem Jahr 1910 sieht man ihre Großmutter Babette neben der Ladentüre stehen. Ein anderes Bild zeigt Heidi Treibers Mutter an einem kleinen Holzschreibtisch, der heute im „drüber“ in die Dekoration einbezogen ist. Und auf manchen Fotos ist Treiber selbst zu sehen: als Kind mit kurzem, frechem Haarschnitt. „Der Laden war mein Spielzimmer“, erinnert sie sich. Eine Verbundenheit, die auf bodenständige Art verpflichtet.
Familiärer Zusammenhalt
Dabei war der Erfolg kein Selbstläufer, sondern oftmals mit „Durchbeißen“ verbunden. Schon die Witwe des Gründers Süßmann führte nach dessen Tod 1912 das Geschäft mit den Töchtern weiter. Babette Süßmann heiratete dann den Erlangener Textilkaufmann Hans Haller, dessen Name noch heute das Unternehmen prägt. Nachdem beim Bombenangriff im März 1945 das komplette Haus abgebrannt war, entschied er sich 1949/50 zum Wiederaufbau.
Heidi Treibers Mutter Else hatte damals einen anderen Weg eingeschlagen: Nach dem Abitur hat sie Pharmazie studiert und arbeitete in einer Rothenburger Apotheke. „Mein Großvater hat den Aufbau des Hauses davon abhängig gemacht, dass meine Mutter das Geschäft übernahm“, erzählt Treiber. Trotz anderer Intention ist Else Haller dann 1950 mit 27 Jahren in das Familienunternehmen eingestiegen. Nach dem Wiederaufbau der Hafengasse 7 folgte 1957 dann auch der Aufbau des angrenzenden Hauses.
Heidi Treiber hat eine Architektenzeichnung entdeckt, die das Anwesen komplett zeigt. Die schmale Front in der Hafengasse spiegelt die Größe der Ladenfläche nicht wider. Das Textilhaus umfasste damals drei Etagen und wirkt noch heute mit den zwei Eingängen (von der Hafengasse und vom Jakobsgäßchen/Kapellenplatz) wie eine Kombination mehrerer Fachgeschäfte. Hans Haller, der im 1. Weltkrieg versehrt wurde und eine Beinprothese trug, ließ bereits 1957 einen Aufzug einbauen. „Das war damals eine Attraktion“, erzählt Heidi Treiber.
Ihre Mutter Else hat mit ihrem Mann Fritz Rohweder dann ab ihrem Eintritt ins Unternehmen bis Anfang der 1990er-Jahre die Entwicklung geprägt. Zwei große Umbauten (1977 und 1980), das 100-jährige Firmenjubiläum und viele weitsichtige Entscheidungen sind in diese Zeit gefallen. Heidi Treiber hat in den Familienalben Fotos von einer Modenschau mit großem Laufsteg aus dem Jahr 1967 entdeckt.
Immer am Ball bleiben, die Tradition bewahren und Neuerungen zulassen, das haben alle Generationen im Blick gehabt. Als Heidi Treiber dann 1994 die Geschäfte übernahm, hatte sie neben einer fundierten Ausbildung und Erfahrung in anderen großen Bekleidungsläden auch viele neue Ideen im Gepäck. Rückblickend auf die vergangenen 30 Jahre sagt sie: „Ich habe keinen Stein auf dem anderen gelassen.“
Mit „Lola“ kam vor 20 Jahren schicke und handverlesene Mode zum Unternehmen dazu. Im Jahr 1998 kam zum Stammhaus in der Hafengasse das Bekleidungshaus „Haller 2“ am Marktplatz dazu. „Wir konnten uns somit breiter aufstellen“, so Treiber. Im „Haller 2“ gab es hochwertige Mode, dazu Männer- und Trachtenmode. Damals ging der Trend hin zu Läden in Einkaufszentren. „Wir haben uns aber bewusst für einen weiteren Standort in der Altstadt entschieden“, so Treiber. Zusätzlich hatte „Haller 1“ in der Hafengasse sportliche Mode und Wäsche.
Mit „Lola“ kam vor 20 Jahren schicke und handverlesene Mode zum Unternehmen dazu. 2002 folgte der nächste Streich und Treiber eröffnete den Modeladen „Lola“ in angemieteten Räumen in der Hafengasse. „Lola“ das ist Mode für die modebewusste Frau, schick, frech, trendig.
Es folgten der Umzug von „Haller 2“ auch in die Hafengasse (2010), ein großer Umbau mit Sanierung des Stammhauses (2011), die Renovierung von „Lola“ (2014) und die Umbenennung der Läden „Haller 1“ zu „haller‘s drunter & drüber“ und „Haller 2“ zu „haller‘s Lieblingsstücke“.
2021 folgt dann der letzte große Umbau. Im Zuge von Corona wurden „haller‘s Lieblingsstücke“ geschlossen und „Lola“ zog in die Hafengasse 20 ein – in neuem Outfit und mit luftiger und großzügiger Gestaltung. Mit zehn Mitarbeiterinnen, viele davon langjährig, sieht Heidi Treiber ihr Firmenkonzept nun zukunftsfähig aufgestellt.
Alle Modewünsche der Frauen werden hier erfüllt: „Lola“ hat individuelle, trendige Mode, im „drunter“ gibt es schicke und zeitgemäße Wäsche, Dessous oder Strumpfwaren und eine kleine Auswahl für Herren, im „drüber“ wird die Mode sportlich und lässig. Die einzelnen Konzepte ergänzen sich.
Blättert Heidi Treiber in ihren Familienalben, wird deutlich, wie sehr sich die Präsentation von Mode und auch das Einkaufsverhalten geändert haben. Früher gab es zweimal im Jahr Modemessen und Vertreter kamen ins Haus. „Heute fahren wir zusätzlich zu den Messebesuchen mehrmals im Monat zum Einkaufen nach München“, erklärt Heidi Treiber.
Vom 19. bis 29. Oktober wird das 140-jährige Firmenjubiläum gefeiert. Neben einer Retro-Schaufensterdekoration wird der Nähseidenschrank aus den 1950er-Jahren wieder an seinem alten Standort im heutigen „drunter“ aufgebaut. Er spielt eine besondere Rolle bei den 140 Überraschungen, die die Kundinnen in dieser Zeit erwarten. am