Klein, aber oho
1. Mai 2024
Klein, aber oho
Das Rothenburger Handwerkerhaus belebt die Stadt
Nie wirklich modernisiert und deshalb wie aus dem Mittelalter herbeigezaubert steht das Alt-Rothenburger Handwerkerhaus mitten in der Altstadt. Genauer gesagt im Alten Stadtgraben 26. Das Baudenkmal aus dem Jahre 1270 beherbergte über die Jahrhunderte elf verschiedene Handwerker, wovon nicht nur die original erhaltene Schusterwerkstatt zeugt. Otto Berger, dessen Frau Marianne das Romantikhotel am Markusturm betrieb, hatte sich auf dem täglichen Weg zu seiner Garage in dieses alte Häuschen verliebt. Er rettete das Kleinod vor dem Abriss, in dem er die „Bruchbude“ im November 1972 zu seinem Eigentum machte.
Die ursprüngliche Idee, hinter der restaurierten Fassade eine moderne Bahn für die Rothenburger Schopf-Kegler einzurichten, fand durch den Historiker-Professor Dr. Heukemäs (Gast im Hotel am Markusturm) aus Ladenburg ein jähes Ende. Das mittelalterliche Handwerkerhaus verfügte laut Prof. Heukemäs über eine außerordentliche historische Bausubstanz mit Inhalten, an denen die moderne Zeit spurlos vorüber gegangen war. Schuld daran war ein Kriegsveteran, der sein Elternhaus nach dem Krieg bezog und nichts, aber auch gar nichts daran verändert hatte. Ein vergleichbares Zeugnis durch viele Jahrhunderte findet sich selten hinter den Fassaden der Tauberstadt.
Bei einer Erstbesichtigung des Häuschens durch zwei Schopf-Kegler, der damaligen Schneiderin Meyer und Verkehrsdirektor Rudolf Hundertschuh, fand man eine historische Nachtwächterkluft mit Spieß, Umhang, Hut und Laterne, dessen Kleider Frau Meyer gleich zweimal nachschneiderte. Damals war sie mit den Kostümen für das 700-jährige Historienfest zur Verleihung der Reichsstadtprivilegien (erstmals 1974) ohnehin schon voll beschäftigt. Rudolf Hundertschuh war übrigens der Gründer dieser historischen Festivitäten der Stadt.
Kleines Haus, großer Effekt
Die Idee, Nachtwächterrundgänge wieder aufleben zu lassen, war geboren. „Wir zogen im Winter 1972 durch die kleinen Gassen. Es schneite leicht und es fühlte sich ein wenig wie im Märchen an. Die Leute öffneten die Fenster und waren begeistert“, erinnert sich Otto Berger. Rudolf Hundertschuh, der des Nachtwächters Kuhhorn zu blasen vermochte, und Stadtgärtner Müller waren von nun an die nächtlichen Hüter der Reichsstadt. Seither gibt es die Nachtwächterführungen in der Tauberstadt, dessen Mitbegründer Georg Baumgartner auch heute noch mit Witz und Verstand aus dem Nähkästchen plaudert.
Otto Berger motivierte damals in den 70er-Jahren die Hoteliers, ihre Gastronomie doch auch im Winter für Gäste aus nah und fern zu öffnen. Im Romantikhotel am Markusturm und in wenigen anderen wurde die winterliche Gastfreundschaft in Rothenburg durch hohe Besucherzahlen belohnt. Schon jetzt hatte das kleine Handwerkerhäuschen viel in der Stadt bewegt. Aber damit nicht genug. Was sollte jetzt aus dem Häuschen mit so vielen handwerklichen Dingen, ohne fließend Wasser oder Strom geschehen? Hundertschuh wurde klar, dieses Zeitzeugnis muss erhalten bleiben.
„Ich habs, ein Museum soll es werden“, sagte eines Tages Marianne Berger, die sich als „begnadete Innenarchitektin“ im eigenen Hotel bewiesen hatte.
Gesagt, getan. Otto Berger und vor allem seine Frau Marianne richteten das Häuschen mit Herzblut her. Sogar einen Bauerngarten legte Marianne Berger an. Nach vierjähriger Arbeit mit viel Liebe zum Detail wurde das Museum „Alt-Rothenburger Handwerkerhaus“ eröffnet. Ein Museum, das auch heute noch von Tochter Gabriele Berger-Klatte und acht Rothenburger Gästeführerinnen ehrenamtlich mit individuellen Geschichten für Besucher zum Leben erweckt wird.
Privat geführte Museen haben es besonders schwer. Ein spezielles Angebot für Gäste musste her. Die Rothenburger Gästeführerinnen erarbeiteten ein Konzept für das kleine Handwerkerhäuschen und schlüpfen jede auf ihre Weise in die Rolle der Schusterwitwe Walburga aus dem Jahr 1501, die sich wieder einen Ehemann suchen musste, um Hab und Gut zu erhalten. Naheliegend war ein im Hause angestellter Schustergeselle. Den kannte sie und wusste, was auf sie zukommen würde. Na, und wenn sie mit 38 Jahren die Libido ihres neuen Gatten nicht erfüllen konnte, gab sie ihm ein Kräutlein namens Mönchspfeffer, der das Bedürfnis zu lindern vermochte.
Schon im Eingangsbereich des kleinen Handwerkermuseums trifft man auf eine Tür, eine Gewölbekellertür, die manch einen Besucher befürchten lässt, hinein zu fallen. Aber keine Sorge, trotz der schiefen Optik des Hauses hat niemand etwas zu befürchten. Gleich rechts fällt ein 14,5 Meter tiefer Brunnen auf. Aber Vorsicht, Brillenträger sollten ihr gutes Stück festhalten, sonst ist es für immer verloren.
Camilla Ebert, eine der Walburga-Führerinnen, zeigt auf eine Art Waschbecken mit Loch durch die Wand. „Ich nenne es den Kummerkasten, indem alles entsorgt wird, was man nicht mehr haben wollte. Daher der Begriff Kummer“, erklärt sie. Bevor man in den Garten gelangt, sieht man in einem Raum einen Webstuhl, der laut damaligem Beschluss im Erdgeschoss eines Hauses zu stehen hatte, da viele Decken eingefallen sind, wo sich ein Webstuhl im Obergeschoss befand. Apropos Obergeschoss, dort befinden sich die Schlafräume (bis zu 15 Personen) der Familie, der Gesellen und der Mägde. Die Kinder mussten sich teilweise ein Bett zu dritt teilen. Im Alt-Rothenburger Handwerkerhaus lässt sich noch so viel mehr entdecken. Das Museum ist ab dem 23. März, Dienstag bis Sonntag von 11 bis 15 Uhr geöffnet. Stehen Gäste vor der Tür, ruft nicht selten die Nachbarin einen Führer herbei.
ul