Gut Ding will Weile haben
1. September 2022
Gut Ding will Weile haben
„Semmel Macherei“ setzt auf zünftiges Bäckereihandwerk und Fortschritt
Seit 1933 mischt, knetet und backt die Familie Braun in vierter Generation Brote, Brötchen, Kuchen und Snacks mitten in dem kleinen Ort Gebsattel, drei Kilometer südlich der mittelalterlichen Stadt Rothenburg.
Friedrich Braun ersteigerte damals das ehemalige Gebäude eines Holzverarbeitungsbetriebes und begann mit einem Kolonialwarenhandel, wie man früher ein Lebensmittelgeschäft auch nannte. Gebacken wurde dort von Anfang an. Im Jahre 1957 folgte die zweite Generation mit dem gleichnamigen Sohn Friedrich Braun, der mit 17 Jahren in den Krieg zog und vier Jahre Gefangenschaft auf sich nehmen musste. Seine Eltern hielten die Bäckerei in Schwung. Nach Kriegsende „bunkerte“ das Gründerehepaar Mehl in der Garage, soviel sie konnten und versorgten u. a. die Amerikaner mit Brot und frischen Semmeln.
„Jede Generation hat eine eigene Handschrift im Betrieb hinterlassen“, so der heutige Inhaber Jacob Braun, der mit dem Bäckereihandwerk groß geworden ist. So sorgte sein Opa Friedrich für den ersten Landhandel mit seinem Ford-Lieferwagen und versorgte damals schon die Hotellerie und das Gastgewerbe wie den Schwarzen Adler oder den Rothenburger Hof.
Seinen Vater Hartmut sieht er als technischen Revolutionär der Braunschen Backstube, denn er installierte eine der ersten Semmelstraßen der Branche in der Region. Eine Errungenschaft, die ihm erlaubte, sich als Sportpferdehändler weiter zu verwirklichen. „Wenn man es genau nimmt, gab es drei Familienbäckereien. Eine in Schillingsfürst, eine in Kehlheim von meiner Tante und unsere Bäckerei in Gebsattel, die einzige, die noch besteht“, erklärt Jacob Braun. Aber selbst in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, dass lag Jacob Braun fern. „Ich hatte schon als junger Kerl mit 17 Jahren Sehnsucht nach der großen weiten Welt; wollte wissen, dass es mehr gibt als ein Leben im mittelfränkischen Kleinod Gebsattel“, sagt er.
Nach der Schule lernte er zunächst das Bäckereihandwerk in Roth am See bei einem Meisterschulkamerad seines Vaters. Eine außerbetriebliche Ausbildung würde Jacob Braun jedem empfehlen, um einmal über den handwerklichen Tellerrand zu schauen. Sein weiterer Werdegang endete mit der Meisterschule. Doch das Fernweh blieb.
Der ambitionierte Bäckermeister schaffte alle Voraussetzungen für ein BWL-Studium mit dem eigentlichen Ziel, im Vertrieb seiner Branche Karriere zu machen. Er ging für ein dreiviertel Jahr nach Cambridge, um Englisch zu lernen und nahm Nachhilfe in Mathematik. Ohne diese Fertigkeiten sah er keine Chance auf ein erfolgreiches Studium. In der Fachhochschule in Würzburg fiel er einer großen Firma mit seinen besonderen Leistungen auf. Man bot ihm ein Duales Studium und finanzierte ihm nach erfolgreichem Abschluss eine Wohnung und ein Masterstudium obendrauf. Seine Abschlussarbeit befasste sich mit Qualität statt Quantität bei gesenkten Fixkosten in der Bäckereibranche. Mit Erfolg, denn sein Konzept ging auf. Jetzt war er ein „Businessman“, aber ohne Lebensinhalt. Denn Frau und Kinder waren zu Hause in Gebsattel, seine Hobbies als Jäger und Angler waren so weit weg. „Ich musste einfach in meine Heimat zurück und arbeitete noch ein Jahr im Familienbetrieb“, erzählt er.
Vater Hartmut Braun kämpfte schon seit 2017 mit der wachsenden Konkurrenz der Bäckerei- und Discounterketten und riet seinem Sohn Jacob davon ab, den Betrieb weiterzuführen. Damals war das Bäckereisterben der traditionellen Handwerkszunft in aller Munde. Aber sein bisheriger Werdegang erlaubte dem Betriebswirt neue Wege zu gehen. Er übernahm die Bäckerei im Jahr 2020 mitten in der Coronazeit. „Ohne die Erfahrung in ca. 100 verschiedenen Backstuben und als Betriebswirt hätte ich es nie geschafft“, weiß der Familienvater heute.
Er bewarb sich beim Amt für Ländliche Entwicklung um Zuschüsse und nahm eine dreiviertel Million in die Hand, um das Traditionshandwerk seiner Familie mit seinem betriebs-wirtschaftlichen Know-how und dem technisch Machbaren konkurrenzfähig zu machen. Die Pandemiezeit nutzte Jacob Braun, um neue Lieferkunden in Großküchen, Kantinen, Wohneinrichtungen, Supermärkten oder Dorfläden zu akquirieren. Mit der Übernahme zweier Bäckereien in Aurach und Flachslanden konnte er seinen Kundenkreis noch mehr erweitern.
Traditionshandwerk und Fortschritt
„Alles was in den Verkauftstheken liegt oder geliefert wird, kommt aus der mittlerweile hoch technisierten Backstube in Gebsattel. „Ich habe es immer gewusst, das Bäckereihandwerk war schon immer dein Ding“, sagt seine Tante Corina Braun beim Interview, die sich um das Kassenmanagement der „Semmel Macherei“ (so heißt die Bäckerei heute) kümmert. Gemeinsam mit der stellvertretenden Geschäftsführerin Kristina Milosevi´c läuft das Gewerbe wie geschmiert.
Das Erfolgsrezept besteht in der Kombination aus echtem Bäckereihandwerk mit altbewährter Rezeptur, der Optimierung von Arbeitszeiten in drei Schichten und dem technischen Fortschritt, der es ermöglicht, die Teiglinge nach alter Tradition über 18 Stunden reifen zu lassen. Durch eine lange und schonende Reifezeit und eine ausgeklügelte Temperierung erhalten die Backwaren aus regionalem und zunehmend aus biologischem Anbau stammenden Zutaten ihren außerordentlichen Geschmack. Das ist die eigentliche Kunst. Die traditionelle Backtechnik macht die Brote besonders bekömmlich – speziell auch für Menschen mit Reizdarm. Unverdauliche Zucker in Weizenprodukten lassen sich durch längere Gehzeit des Teigs verringern. Dabei werden auch sogenannte Phytate abgebaut, was dazu führt, dass mehr Eisen und Zink für die Aufnahme des menschlichen Körpers bereit steht. „Geschmacks- und Konservierungsstoffe haben in unseren Produkten nichts zu suchen,“ betont der Bäckermeister.
Ein Spezialbrot wurde gemeinsam mit dem Küchenchef des „Bergwirts“ in Herrieden kreiert. Für neue Rezepturen nimmt sich der Fachbetrieb natürlich auch Zeit. Mit dem Dreischichtsystem wird das Bäckereihandwerk auch für Nachwuchskräfte attraktiver. „Bei uns bereiten die Fachkräfte zwischen sieben und elf Uhr den Teig für den nächsten Tag vor, der dann in der Semmelstraße geformt wird“, erklärt der Geschäftsmann. Kleingebäck wie Hörnle und Brezen werden genauso wie die Veredelung der Semmeln per Hand gemacht, um sie dann auf Backblechen für den 18-stündigen Reifeprozess in Garschränke zu legen. Vorbei ist die Schicht der Bäcker. Für den eigentlichen Backprozeß kann man jeden einstellen.
Arbeitszeiten sowie die kräfteschonende Technik wirken nicht nur dem Fachkräftemangel entgegen, sondern sprechen auch die weibliche Welt der Azubis an. Kaum ein junger Mensch hat Freude daran, ab vier oder fünf Uhr in der Früh in der Backstube zu stehen. Gemeinsam wird viel in kurzer Zeit erreicht. In 17 Minuten werden 5400 Produkte fertig gebacken. Der Verkauf und die Auslieferung an 120 Lieferkunden täglich ist dann das Tagesgeschäft. Das Ganze wird mithilfe von 50 Mitarbeitern gestämmt, ein Team, auf das sich die Traditionsbäckerei hundertprozentig verlassen kann. Es läuft also im Hause Braun.
In der „Semmel Macherei“ Braun wird traditionelles Wissen um die Handwerkskunst des Backens mit moderner Technologie erfolgreich zusammengebracht. ul