Gasse als Lebensader

11. November 2024

Gasse als Lebensader

Bedeutung der Straßennamen

Sie heißen Freudengäßchen, Wenggasse, Rosengasse, Grüner Markt oder auch Feuerkessel und Paradeisgasse – die Namen der Straßen in der Rothenburger Altstadt haben einfach Flair. Manche Bezeichnungen wie die Herrngasse, wo die Patrizierfamilien lebten, erschließen sich, andere finden in unserem heutigen Sprachgebrauch aber keine schnelle Erklärung mehr. Im Jahr 1905 fand in Bamberg der Tag der Denkmalpflege statt und August Schnizlein vom Verein Alt Rothenburg waren zugegen. Im Jahresbericht (1905/06) des Vereins schreibt er: „Geklagt wurde, dass vielerorts, oft unter den nichtigsten Vorwänden ... höchst bezeichnende und durch ihr Alter ehrwürdige oder sogar geschichtlich bedeutsame Straßennamen nichtssagenden Neuschöpfungen weichen müssten.“ Die Namen der Gassen sind also ein Spiegel der Geschichte und in Rothenburg stets bewahrt worden.

Erste Aufzeichnungen von Gassennamen sind bereits in den Steuerbüchern des 14. Jahrhunderts zur Zeit des Bürgermeisters Heinrich Toppler zu finden (in „Die Linde“: Heinrich Schmidt, „Die ältesten Gassennamen der Stadt Rothenburg o. Tbr.“, 1956, S. 33 ff). Im Jahr 1387 wurde im Bürgerbuch die Altstadt in einzelne Gassen aufgegliedert.

Belegt ist auch eine Vermessung der Stadt, die vor dem Ersten Weltkrieg begonnen und 1920 fertiggestellt wurde. Damals gab es zwei Grundsätze: In der Altstadt sollten alle Bezeichnungen den Zusatz Gasse oder Gäßchen haben und in den neuen Stadtteilen außerhalb der Stadtmauer sollen die Straßen Namen großer und bedeutender Männer aus Rothenburgs Vergangenheit bekommen (in „Die Linde“: August Schnizlein, „Ein Gang durch die Gassen und Straßen des alten und neuen Rothenburg“, 1923, S. 1–8). Und so ist es noch heute: In der Altstadt gibt es Plätze, Märkte oder Gassen – aber keine Straßen.

Als älteste Gasse Rothenburgs gilt die Burggasse. Hier lebten die Handwerker, die für die einstige Burg arbeiteten. Da die Gasse vom Refektorium des ehemaligen Franziskanerklosters (heute ist nur noch die Franziskanerkirche erhalten) überdacht wurde, ergab sich ein tunnelartiger Weg, der „Höll“ genannt wurde und bis 1840 bestand. Diese Bezeichnung hat sich als Beiname bis heute erhalten.

Altes Handwerk

Viele Gassen sind nach den dort ansässigen Handwerkern oder Ständen benannt. Dass in der Hirtengasse die Stadthirten wohnten, erschließt sich, aber wer lebte in der Hafengasse oder im Küblersgäßchen? Die Hafengasse geht zurück auf die Bezeichnung Hafner für Töpfer oder Ofensetzer. Im Küblersgäßchen lebten die Kübler. Das waren Handwerker, die Behälter, Gefäße oder Fässer aus Holz herstellten. Aber auch die Stollengasse oder das Rahmengäßchen haben ihre Bezeichnung von den ansässigen Gewerken. In der Stollengasse haben die Gerber ihr Häute auf Stollen aufgespannt und im Rahmengäßchen standen die Rahmen, auf denen die Loder (Wollweber) ihre Tücher trockneten.

Rothenburg war schon immer landwirtschaftlich geprägt, was sich in den Gassennamen widerspiegelt. Das Erbsengäßchen, die Heugasse und die Wenggasse (Weng wird zurückgeführt auf Wang, der Bedeutung für Wiese oder Grasfeld) sind nur einige der Beispiele.

Eine Besonderheit im Reigen der Gassen ist der Feuerkessel gleich neben dem Rathaus, der ohne den Zusatz Gasse auskommt. Da Rothenburg auf einem Felssporn liegt, war Wasser immer knapp. Sollte es brennen, so standen im Feuerkessel im Sommer und auch im Winter immer mit Wasser gefüllte „Kessel“ zum Löschen bereit.

Und um manche Gassen ranken sich Sagen: Im Freudengäßchen soll im Jahr 1631 ein Ratsdiener auf Bürgermeister Bezold gestoßen sein und ihm die Nachricht Tillys, die Stadt zu verschonen, mitgeteilt haben. Die Freude darüber soll der Gasse ihren Namen beschert haben.

Ähnlich ist es mit dem Rosmaringäßchen: In den Städten des Mittelalters gab es unsaubere Gassen mit üblem Geruch. August Schnizlein mutmaßt in seiner Abhandlung im Jahresbericht des Vereins Alt Rothenburg 1905/06, dass das Rosmaringäßchen dafür ein spöttischer Name gewesen sein könnte.

Aber auch die Bewohner der Gassen selbst haben mitunter den Namen geprägt. Das Brudergäßchen ist benannt nach dem Haus der grauen Brüder des Dritten Ordens des Heiligen Franziskus, das sich bis 1541, als der letzte Bruder verstarb, dort befand und danach abgebrochen wurde. Ebenso hat der „Chirurgus und Magistrath“ Georg Michael Schreiber, der Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts im Haus 472 lebte, dem Schreibersgäßchen seinen Namen gegeben.

Die Bezeichnungen der Gassen wurden auch von religiöser Zugehörigkeit geprägt, wie es im Fall der Judengasse noch heute zu erleben ist. Im Haus Nr. 10 ist eine der ältesten Mikwen Deutschlands entdeckt und wieder zugänglich gemacht worden.

Rothenburg hatte als Reichsstadt große Anziehungskraft und mehrere Märkte, deren Namen durch die Art des Angebots geprägt wurden. Der Milchmarkt erschließt sich, aber was wurde am Grünen Markt angeboten? Der Markt hieß früher Högelmarkt, zurückzuführen auf die Bezeichnung Hocke oder Hoke für Kleinverkäufer von rohen Esswaren. Das Innehalten vor so manchem Gassenschild lohnt sich also, denn da steckt mehr drin, als nur ein stimmungsvoller Name. am

Im Freudengäßchen wohnt es sich mit Blick auf die St.-Jakobs-Kirche bestimmt schön und wohl gelaunt. Bürgermeister Bezold soll genau hier einst eine freudige Nachricht erhalten haben – und diese historische Begebenheit hat der Gasse ihren Namen gegeben. Foto: am
Im Küblersgäßchen ging es früher emsig zu. Die Kübler haben hier ihre Holzgefäße hergestellt. Foto: am

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