Entschleunigung
6. März 2024
Entschleunigung
Ludwig Herz war neun Wochen wandern – dabei sind Gedichte entstanden
„Ich wollte ganz bewusst einen Schnitt machen“, erzählt Ludwig Herz. Fast sein ganzes Berufsleben hat er an der Förderschule in Rothenburg verbracht – 21 Jahre davon als Schulleiter. „Das war mein Leben“, sagt er. Als zum Ende des vergangenen Schuljahres sein Wechsel in den Ruhestand anstand, war das nicht einfach für ihn.
Als erfahrener Wanderer hat er schon früher stets in den Pfingstferien mit Freunden die Pyrenäen, Alpen oder die Region um dem Comer See erkundet. Diese Touren waren aber immer zeitlich begrenzt. Nun wollte er sich ohne Zeitdruck auf den Weg begeben. Fernwanderwege in der ganzen Welt standen zur Disposition, aber seine Wahl fiel auf den Fernwanderweg E3 durch das Balkangebirge. „Ich bin eher der vorsichtige Typ und wollte in Europa bleiben, aber eine Region erkunden, die ich noch nicht kannte“, erklärt er.
Genau am 11. September, als für seine Kollegen in der Förderschule mit der ersten Konferenz das neue Schuljahr startete, ist Ludwig Herz in den Flieger nach Sofia in Bulgarien gestiegen. „Das habe ich bewusst so geplant“, sagt er. Wichtig war für ihn, diesmal alleine unterwegs zu sein und kein Rückflugticket zu haben. „Ich wusste nicht, wo ich am Ende sein werde“, erzählt er.
Von Sofia ging es zum Berg Kom, dem Startpunkt des Fernwanderwegs. Gleich bei seiner ersten Übernachtung auf einer Hütte nahe dem Berg hat Ludwig Herz die außergewöhnliche Gastfreundschaft der Bulgaren erfahren, die ihn immer wieder begleiten sollte.
Zeit, sich treiben zu lassen
Seine geplante Strecke auf dem Fernwanderweg bis zum Kap Emine am Schwarzen Meer, insgesamt 650 km, erwies sich zu dieser Jahreszeit als schwierig. Teile der Hütte schließen im Spätherbst und so konnte Ludwig Herz nur rund 400 km in den Bergen wandern. Per Zug erreichte er dann das Kap Emine und konnte dort noch einmal 60 km wandern. Im Nachhinein hat es sich als Fügung erwiesen, dass er nicht den ganzen Weg gehen konnte. „So hatte ich schlicht und einfach Zeit“, erzählt er.
Ludwig Herz ist nicht verbissen auf dem Wanderweg verblieben. Er hat Seitentäler erkundet, Tageswanderungen rund um die Hütten unternommen und etwa 20 Mal im eigenen Zelt im Wald übernachtet. „Man läuft meist oberhalb der Baumgrenze und hat eine tolle Sicht“, erklärt er. Ebenso begeistert ist er von den Buchenwäldern mit uralten Bäumen. Kein anderer Fernwanderer ist ihm begegnet. Nur ab und zu ein paar Sonntagswanderer. An die Schule habe er kaum gedacht, erinnert er sich.
Sein Weg hat ihn auch in abgelegene Täler geführt. In einem davon hat er einen 85-jährigen Schäfer morgens an seinem Zelt vorbeigehen sehen. Mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms in seinem Handy hat er diesen am nächsten Morgen gefragt, ob er sich für einen Tag anschließen kann. „Die Handbewegung war eindeutig“, erinnert er sich. Aus dem einen Tag wurde eine ganze Woche, in der er stundenlang Seite an Seite mit dem bulgarischen Schäfer über die Wiesen gezogen ist. „Das hat mich fasziniert“, sagt er. Das langsame Laufen hatte etwas Meditatives und Entschleunigendes. „Genau das, was ich suchte“, so Ludwig Herz.
Dieses Erlebnis wurde für Herz der Einstieg ins Dichten. Zur Lyrik hatte er bis dahin keinen besonderen Kontakt. Aber nun kamen die Worte ganz spontan und in Reimform. „Ich saß abends alleine und habe meine Gedanken ins Handy getippt“, erinnert er sich. Herz hatte weder Papier noch Stift dabei. Auch während seiner Wanderungen kamen ihm Gedanken zu den Bergen. 26 Gedichte sind so entstanden, die nicht romantisch verklärt sind, sondern lebensnah und unterhaltsam. Das Gedicht „Der Traum“ (siehe Spalte links) hat die gesamte Woche mit dem Schäfer zum Sujet. Aber auch der „Traumjob“ eines Bergschuhs, ein Wetterumschwung oder warum es bergauf schwieriger ist als bergab, hat Ludwig Herz in Reimform gebannt.
Nach neun Wochen, am 17. November, kam er zurück. Zuhause in Neusitz hat er seine Gedichte mitsamt Fotos in einem privaten Bildband für die Zukunft erhalten. am