Dokumente und Bilder

1. Juli 2024

Dokumente und Bilder

Jüdische Familien in Colmberg

Eindrücklich und bewegend zugleich erscheint die rund 50 m2 große Räumlichkeit des Dokumentationszentrums „Familiengeschichten jüdisches Leben“ in Colmberg. Es ist kein Museum, eher ein Ort, an dem man 250 Jahre jüdisches Leben ergründen kann. Schon im Eingangsbereich erinnern Geräusche wie Hundegebell, Pferdewagen, die über Pflastersteine rumpeln, oder Gänsegeschrei auf dem Marktplatz an längst vergangene Zeiten.

Genau hier, in dem Haus am Markt 1, direkt an der Colmberger Hauptstraße, lebte einst der „Jude Jacob“. Vor- und Zuname hielten erst im 12. Jahrhundert schrittweise Einzug.
Erst im Deutschen Reich (1875) gab es Standesämter, wo die Namen fest eingeschrieben wurden. „Jude Jacobs“ Haus gehört heute der VR-Bank, die nach sinnvoller Nutzung der Räume suchte. Colmbergs Bürgermeister Willi Kiesinger, auch Vorsitzender der LAG, hat zusammen mit Günther Fohrer und anderen Interessierten das jüdische Dokumentationszentrum mit Zuschüssen ins Leben gerufen.

Günther Fohrer, der heutige Leiter des Dokumentationszentrums, hat viele Jahre zuvor Bilder und Schriften sowie andere Spuren jüdischen Lebens aus Colmberg gesammelt, die neben anderem zu sehen sind.

Es soll ein bisschen wie in einer offenen Kirche sein. Das barrierefreie Zentrum ist täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Man kann einfach reinschauen und in das vergangene jüdische Leben (seit 1402) der Gemeinde eintauchen.

Den Anfang jüdischer Besiedlung in Colmberg machten um 1788 zwei Brüder aus Obernzenn. Eine Schwester zog anschließend auch dort hin. Der Höhepunkt der jüdischen Bevölkerungsdichte wurde im Jahr 1811 mit rund zehn Prozent erreicht. Unter markgräflicher Herrschaft von Johannes Friedrich von Brandenburg Ansbach erhielten die jüdischen Bewohner den Namenszusatz „Jud“. Sie durften kein Land besitzen und verdienten ihren Unterhalt als Hausierer von Tuch- und Bettwaren, als Metzger und Viehhändler. „Selbst die heutigen älteren Bewohner Colmbergs haben kaum Erinnerungen an jüdisches Leben in der Geschichte der 2 000 Einwohnerstadt.

Die berühmteste Familiengeschichte ist wohl die des weltbekannten Pianisten und Songwriters Billy Joel aus der Bronx (Stadtteil New Yorks), dessen Urgroß- und Großeltern das Licht der Welt in Colmberg erblickten. Vater Karl Amson Joel eröffnete im Jahr 1928 einen Versandhandel für Textilien und Kleidung in Nürnberg. Das Geschäft florierte, eine Eröffnung in Berlin folgte, bis die jüdischen Familien dem Hitler-Regime auszuweichen versuchten. Im Jahr 1938 entschlossen sich die Joels, in die USA zu fliehen und die Näherei in Nürnberg und Berlin zu verkaufen. Der neue Inhaber wurde der Versandhändler Josef Neckermann. Ein „Stolperstein“ in der Ausstellung, auf den man als Besucher unweigerlich trifft, ist ein Foto von Alexander Steinberger, dessen Vorfahren seit dem 18. Jahrhundert bis ins Jahr 1938 ansässig waren. Er war zeitlebens ein Viehhändler in Colmberg. Ein Foto in der Ausstellung erinnert an die Goldene Hochzeit von Alexander und Regina Steinberger.

„Mein Vater ist mit Alexander Steinberger in die Oberrealschule gegangen“, weiß Günther Fohrer aus Erzählungen. Neben vielen weiteren Lebensspuren jüdischer Familien, die bis in die 1930er-Jahre Seite an Seite mit den Colmberger Christen lebten, eröffnet die Ausstellung Einblicke in die jüdische Geheimsprache „Lachoudisch“, die als Audiostream zu hören ist. „Eine Besucherin kannte teilweise noch Begriffe aus ihrem Alltagsleben“, berichtet Fohrer.

Der mittelfränkische Jazz Pianist Dieter Köhnlein komponierte ein jüdisches Lied, das in der Ausstellung zu hören ist. Auch die Überlebensgeschichte des Colmberger Ernst Haas ist über eine Audiodatei zu hören. Wer selbst einmal auf Spurensuche geht, findet hier ein Display aller Namen jüdischer Einwohner der Stadt. Jeder kann für sich alleine oder mit einer einstündigen Führung von Günther Fohrer in die jüdische Geschichte Colmbergs eintauchen. Infos sind online auf der Webseite unter: www.colmberg.de zu finden. ul.

Günther Fohrer, Leiter des Dokumentationszentrums „Familiengeschichten jüdisches Leben Colmberg“ hat selbst seit Jahren zum Thema Judentum geforscht. Foto: ul
Fotos: ul

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